In einer Zeit der Orientierungslosigkeit, des Werteverfalls, einer immer stärker anwachsenden Informationsflut und einer offenen Bibelkritik, stehen wir heute mehr denn je in der Herausforderung an biblischen Grundwerten und -wahrheiten festzuhalten und Überzeugungen, Meinungen und die uns erreichenden Informationen des Zeitgeschehens zu überprüfen und biblisch einzuordnen. „Auf den Punkt gebracht – Zeitgeschehen im Licht der Bibel“ will dabei informieren, bilden, aber vor allem die Aktualität der Bibel in den Mittelpunkt stellen. Diese Themen sind sowohl für den Bibelkenner als auch für diejenigen, die beginnen wollen, das Zeitgeschehen und ihre Umwelt im Licht der Bibel zu betrachten.
„Wenn ihr nun sehen werdet das Gräuelbild der Verwüstung stehen an der heiligen Stätte, wovon gesagt ist durch den Propheten Daniel, – wer das liest, der merke auf!“
Matthäus 24:15
Eine der interessantesten Prophezeiungen in der Bibel betrifft das Gräuel der Verwüstung im Buch Daniel. Die Besonderheit, die diese Prophezeiung besonders faszinierend macht, ist, dass Jesus sie als ein bestimmtes Zeichen identifiziert, welches markieren würde, dass das Ende nahe ist.
Als Jesus vom Gräuel der Verwüstung sprach, war es die Antwort auf die Frage der Jünger: „Wann sollen diese Dinge sein und was soll das Zeichen vom Zukünftigen und vom Ende der Welt sein?“. Er antwortete:
„Wenn ihr nun sehen werdet das Gräuelbild der Verwüstung stehen an der heiligen Stätte, wovon gesagt ist durch den Propheten Daniel, – wer das liest, der merke auf! -, 16 alsdann fliehe auf die Berge, wer in Judäa ist; 17 und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hinunter, etwas aus seinem Hause zu holen; 18 und wer auf dem Feld ist, der kehre nicht zurück, seinen Mantel zu holen. 19 Weh aber den Schwangeren und den Stillenden zu jener Zeit! 20 Bittet aber, dass eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. 21 Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird.“
Matthäus 24:15-21
Viele Ausleger erkennen diesen Text als ein sicheres und besonderes Zeichen im Hinblick auf die letzten Ereignisse der vorhergesagten Weltgeschichte. Doch, obwohl die Mehrheit sich darin einig ist, dass das Gräuel der Verwüstung ein wichtiges Indiz prophetischer Identifikation ist, gibt es nach wie vor Uneinigkeit bezüglich der genauen Deutung und Wesensmerkmale des Gräuelbildes mit seinen verwüstenden Folgen.
Worum geht es beim „Gräuel der Verwüstung“? Warum legte Jesus in Matthäus 24 solchen Wert darauf zu verstehen, was der Prophet Daniel darüber aufschrieb? Und was hat das „verwüstende Gräuel“ mit unserer gegenwärtigen Zeit und den religiös- politischen Kräften zu tun? Die hier vorliegenden Studien möchten neben den Grund- u. Einleitungsfragen zur Thematik genau diesen Fragen nachgehen.
Auslegungsmodelle
Selbst unter Bibelkennern sucht man immer noch (bzw. immer wieder) nach Antworten, obwohl die meisten Ausleger annehmen, dass sie die Analogie des Gräuels der Verwüstung verstehen.
Die wichtigsten Auslegungsansätze sind dabei folgende:
- Die Prophezeiung in Mt. 24:15 wurde erfüllt, als Antiochus Epiphanes zwischen 168 und 165 n.Chr. das Opfer unterbrach, indem er das Gräuel (ein Schwein), auf den Altar des Tempels legte.
- Andere glauben, dass das Gräuel der Verwüstung sich auf eine zukünftige Zeit bezieht, wenn der Antichrist den Tempel in Jerusalem zu Fall bringt und ihn als seinen Thron verwendet.
- Dann gibt es jene, die glauben, dass das Gräuel der Verwüstung die römischen Gesetze sind, die zur Zeit der Tempelzerstörung in Jerusalem in 70 n.Chr. von Titus verehrt wurden.
Nun, was genau ist das Gräuel der Verwüstung? Ist es eine dieser Auslegungen? Trifft die Auslegung vielleicht auf mehrere der oben angeführten zu? Oder könnte es möglich sein, dass nicht eine einzige dieser Interpretationen richtig ist? Die Antwort auf diese Fragen ist äußerst wichtig. Jesus impliziert in seiner Aussage in Mt. 24 eindeutig, dass sogar unser Leben von der Antwort auf diese Fragen abhängig sein kann.
Darüber hinaus ist die Deutung des Gräuels das Verwüstung anrichtet, aufs Engste mit der Deutung des „Täglichen“ (tamid) in Daniel 8 verbunden. Beginnen wir zunächst mit einfachen Fragen, die uns einen Überblick verschaffen.
Eine kurze Begriffsdefinition
Die Grundbedeutung von shiqquts ist „abscheulich, verabscheuen“. Die Wurzel kommt in zwei verschiedenen Bedeutungen vor: die eine erscheint nur in Lev und bezieht sich auf verbotene Tiere. Die andere Bedeutung kommt vorwiegend bei den vorexilischen Propheten vor, und steht im Zusammenhang mit falscher Gottesanbetung und Götzenbilderverehrung. shiqquts bezeichnet sowohl einzeln genannte Götzen, als auch alle Erscheinungsformen der beispielsweise kanaanitischen Religion. Es werden also Bilder und auch ihre Anbetung mit shiqquts bezeichnet.[1]
Die Bedeutungsbreite des biblisch-hebräischen Wortfeldes von shamem, lässt sich heutiger Sprache nicht mit einer einzigen Wortgruppe wiedergeben.
Die Grundbedeutung der Wurzel lässt sich etwa durch „öde“ oder „vom Leben abgeschnitten sein“ erklären. Das Verb kann „sich leblos fühlen, erstarren“ aber auch „brach, leblos daliegen“ bedeuten. Die Bedeutung des Substantivs shamma reicht von „Verödung“ (objektiv) bis zu „Erstarren, Entsetzen“(subjektiv ). Im Hebräischen liegen beide Aspekte ineinander, was die Übersetzung meistens nicht wiedergeben kann.[2]
Der Aspekt des Entsetzens kommt zum Tragen, wenn shamem sich auf Menschen bezieht. Das „Veröden“ bedeutet eher ein „unwirksam Machen“.[3]
Im Buch Daniel steht das Verb an allen vier vorkommenden Stellen im Partizip, verbunden mit „Frevel“ (8:13), oder mit „Gräuel“ (9:27; 11:31; 12:11).
Der zeitliche Aspekt des Gräuels
Jesus sagt uns, dass unsere Studie über den Gräuel der Verwüstung u.a. auf das Buch von Daniel zielen sollte (Mt. 24:15). Wenn man eine sorgfältige Studie in diesem Buch macht, entdeckt man, dass der Gräuel der Verwüstung in drei Aspekte eingeteilt werden kann.
Diese Aspekte sind:
- der Gräuel der Verwüstung zur Zeit Daniels (der den ersten Tempel einschließt).
- der Gräuel der Verwüstung zur Zeit Jesus (der den zweiten Tempel einschließt).
- Und schließlich der Gräuel der Verwüstung in der Zeit des Endes (das die ganze christliche Kirche betrifft).
These: Die einzelnen Aspekte der Verwüstung (Warnung, Verunreinigung, Zerstörung, Wiederherstellung) die im Buch Daniel beim verwüstendem Gräuel ins Spiel kommen, sind in jeder ihrer drei Phasen konsistent. Man kann deshalb davon ausgehen, dass sie austauschbare Typen oder Beispiele füreinander sind.
Was bewirkt das Gräuel der Verwüstung?
Wer begeht das Gräuel?
Denn die Leute von Juda tun, was mir missfällt, spricht der HERR. Sie haben ihre Gräuelbilder (#WQvi shiqquwts) gesetzt in das Haus, das nach meinem Namen genannt ist, um es unrein zu machen
Jeremja 7:30
Wegen all der Bosheit Israels und Judas, die sie getan haben, um mich zu erzürnen. Sie, ihre Könige, Oberen, Priester und Propheten und die in Juda und Jerusalem wohnten, 33 haben mir den Rücken und nicht das Angesicht zugekehrt, und obwohl ich sie stets lehren ließ, wollten sie nicht hören noch sich bessern. 34 Dazu haben sie ihre gräulichen Bilder (shiqquwts) in das Haus gesetzt, das nach meinem Namen genannt ist, dass sie es unrein machten.
Jeremja 32:32
LUnd er sprach zu mir: Du Menschenkind, siehst du auch, was diese tun? Große Gräuel sind es, die das Haus Israels hier tut, um mich von meinem Heiligtum zu vertreiben. Aber du wirst noch größere Gräuel sehen.
Hesekiel 8:6
Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, tu kund der Stadt Jerusalem ihre Gräuel
Hesekiel 16:1-2
Hesekiel 16:15 Aber du (Stadt Jerusalem) verließest dich auf deine Schönheit. Und weil du so gerühmt wurdest, triebst du Hurerei und botest dich jedem an, der vorüberging, und warst ihm zu Willen. 16 Du nahmst von deinen Kleidern und machtest dir bunte Opferhöhen daraus und triebst dort deine Hurerei, wie es nie geschehen ist noch geschehen wird. 17 Du nahmst auch dein schönes Geschmeide, das ich dir von meinem Gold und Silber gegeben hatte, und machtest dir Götzenbilder daraus und triebst deine Hurerei mit ihnen.
Hesekiel 16:15
Wie fieberte doch dein Herz, spricht Gott der HERR, dass du alle diese Werke einer großen Erzhure tatest:
Hesekiel 16:15
Darum, du Hure, höre des HERRN Wort!
Hesekiel 16:35
Das Volk Gottes, symbolisiert durch Jerusalem, hat die Gräuel begangen, und als Ergebnis wird sie Hure genannt.
Was ist das Ergebnis, dass diese Gräuel begangen werden?
Und ich will Jerusalem zu Steinhaufen und zur Wohnung der Schakale machen und will die Städte Judas zur Wüste machen, dass niemand darin wohnen soll.
Jeremja 9:10
Viele Hirten haben meinen Weinberg verwüstet und meinen Acker zertreten; sie haben meinen schönen Acker zur Wüste gemacht. 11 Sie haben ihn jämmerlich verwüstet; verödet liegt er vor mir; ja, das ganze Land ist verwüstet, aber niemand will es zu Herzen nehmen.
Jeremja 12:10-12
Wie mein Volk meiner vergisst. Sie opfern den nichtigen Göttern. Die haben sie zu Fall gebracht auf den alten Wegen und lassen sie nun gehen auf ungebahnten Straßen, 16 auf dass ihr Land zur Wüste werde, ihnen zur ewigen Schande, dass, wer vorübergeht, sich entsetze und den Kopf schüttle.
Jeremja 18:15-16
Denn ich will das Land ganz verwüsten und seiner Hoffart und Macht ein Ende machen, dass das Gebirge Israel so zur Wüste wird, dass niemand mehr hindurchzieht. 29 Und sie sollen erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich das Land ganz verwüste um aller ihrer Gräuel willen, die sie verübt haben.
Hesekiel 33:28-29
Samaria wird wüst werden; denn es ist seinem Gott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen und ihre kleinen Kinder zerschmettert und ihre Schwangeren aufgeschlitzt werden. 2 Bekehre dich, Israel, zu dem HERRN, deinem Gott; denn du bist gefallen um deiner Schuld willen.
Hosea 14:1-2
Denn das Land soll wüst sein ihrer Bewohner wegen, um der Frucht ihrer Werke willen.
Micha 7:13
Welche Gräuel sind nun begangen worden?
Wer sein Ohr abwendet, um die Weisung nicht zu hören, dessen Gebet ist ein Gräuel.
Sprüche 28:9
Wenn bei dir in einer deiner Städte, die dir der HERR, dein Gott, geben wird, jemand gefunden wird, Mann oder Frau, der da tut, was dem HERRN, deinem Gott, mißfällt, daß er seinen Bund übertritt 3 und hingeht und dient andern Göttern und betet sie an, es sei Sonne oder Mond oder das ganze Heer des Himmels, was ich nicht geboten habe, 4 und es wird dir angezeigt, und du hörst es, so sollst du gründlich danach forschen. Und wenn du findest, dass es gewiss wahr ist, dass solch ein Gräuel in Israel geschehen ist, 5 so sollst du den Mann oder die Frau, die eine solche Übeltat begangen haben, hinausführen zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen.
Deuteronomi 17:2-5
Und es begab sich im sechsten Jahr am fünften Tage des sechsten Monats. Ich saß in meinem Hause, und die Ältesten von Juda saßen vor mir. Da fiel die Hand Gottes des HERRN auf mich. 2 Und ich sah, und siehe, da war eine Gestalt wie ein Mann, und abwärts von dem, was wie seine Hüften aussah, war es wie Feuer, aber oberhalb seiner Hüften war ein Glanz zu sehen wie blinkendes Kupfer. 3 Und er streckte etwas wie eine Hand aus und ergriff mich bei dem Haar meines Hauptes. Da führte mich der Geist fort zwischen Himmel und Erde und brachte mich nach Jerusalem in göttlichen Gesichten zu dem Eingang des inneren Tores, das gegen Norden liegt, wo ein Bild stand zum Ärgernis für den Herrn. 4 Und siehe, dort war die Herrlichkeit des Gottes Israels, so wie ich sie in der Ebene gesehen hatte. 5 ¶ Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, hebe deine Augen auf nach Norden. Und als ich meine Augen aufhob nach Norden, siehe, da stand nördlich vom Tor ein Altar, da, wo es zu dem Bild geht, das für den Herrn ein Ärgernis war. 6 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, siehst du auch, was diese tun? Große Gräuel sind es, die das Haus Israels hier tut, um mich von meinem Heiligtum zu vertreiben. Aber du wirst noch größere Gräuel sehen.
Hesekiel 8:1-6
Hesekiel wurde ein Götzenbild oder ein Götze eines heidnischen Gottes innerhalb des Tempelbereichs gezeigt, welches als ein großes Gräuel beschrieben wird.
Aber es gibt noch mehr zu sehen:
[…] Aber du wirst noch größere Gräuel sehen.
Hesekiel 8:6
Und er führte mich zur Tür des Vorhofes. Da sah ich, und siehe, da war ein Loch in der Wand. 8 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, brich ein Loch durch die Wand. Und als ich ein Loch durch die Wand gebrochen hatte, siehe, da war eine Tür. 9 Und er sprach zu mir: Geh hinein und schaue die schlimmen Gräuel, die sie hier treiben. 10 Und als ich hineinkam und schaute, siehe, da waren lauter Bilder von Gewürm und scheußlichem Getier und allen Götzen des Hauses Israel, ringsherum an den Wänden eingegraben. 11 Davor standen siebzig Männer von den Ältesten des Hauses Israel, und Jaasanja, der Sohn Schafans, stand mitten unter ihnen. Und ein jeder hatte sein Räuchergefäß in der Hand, und der Duft einer Wolke von Weihrauch stieg auf. 12 Und er sprach zu mir: Menschenkind, siehst du, was die Ältesten des Hauses Israel tun in der Finsternis, ein jeder in der Kammer seines Götzenbildes? Denn sie sagen: Der HERR sieht uns nicht, der HERR hat das Land verlassen.
Hesekiel 8:7-12
Hesekiel werden Älteste von Israel gezeigt, die den Abbildern heidnischer Göttern Weihrauch darbringen, die auf den Wänden von einer geheimen Tempelkammer.
Aber es soll noch schlimmeres kommen:
Und er sprach zu mir: Du sollst noch größere Gräuel sehen, die sie tun. 14 ¶ Und er führte mich zum Eingang des Tores am Hause des HERRN, das gegen Norden liegt, und siehe, dort saßen Frauen, die den Tammus beweinten.
Hesekiel 8:13-14
Tammuz war der babylonische Gott der Ernte und Vegetation, der jedes Jahr mit der Sommerdürre „starb“ und deshalb um ihn getrauert wurde. Aber das größte Gräuel soll noch offenbart werden. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.
© 2008 Nicola Taubert
[1] Botterweck: Theologisches Wörterbuch zum AT, (Kohlhammer, 1973).
[2] Westermann: Theologisches Wörterbuch zum AT. (Chr.Kaiser Verlag, München 1976).
[3] Hasel, Gerhard: unveröffentlichtes Script zu “Theology of the Old Testament“.
Nicola Taubert, B.Th., MAMin, ist Theologe und Vortragsredner. Er ist Vorsitzender des Medienbildungswerkes AMEN e.V. (Adventist Media Education Network) und Gründer und Leiter des Desert Spring Institute (DSI). Derzeit leitet er die Missionsschule EMET.