Eine einfache Untersuchung der Aussagen der römisch-katholischen Hierarchie und der Äußerungen protestantischer Führer offenbart eine verblüffende Tatsache: Der römische Katholizismus hat die religiöse Bühne der Welt in Besitz genommen und beherrscht fast das gesamte Spektrum wichtiger theologischer Themen, insbesondere in Bezug auf das Gesetz Gottes.
Dies ist eine bedeutsame Entwicklung, da Katholiken und Protestanten über die Bedeutung und Gültigkeit des Gesetzes Gottes traditionsgemäß gespalten waren.
Ein Beispiel für eine traditionelle protestantische Sichtweise erschien 2006 in der evangelikalen Zeitschrift Christianity Today in einer Rezension eines neuen Buches von John Shelby Spong mit dem Titel „Die Sünden der Heiligen Schrift: Die Hass-Texte der Bibel aufdecken, um den Gott der Liebe zu offenbaren„. (1)John Shelby Spong. The Sins of Scripture: Exposing the Bible’s Texts of Hate to Reveal the God of Love.
Spong vertritt die Ansicht, dass die Bibel patriarchalisch und homophob sei und dass sie „schreckliche Texte“ und „Horrorgeschichten“ enthalte. Spong behauptet auch, dass das „neue Bewusstsein von heute“ die Oberhand über die Heilige Schrift gewinnen müsse. Auch geht Spong davon aus, „dass das moderne Bewusstsein der Bibel überlegen sei, einfach weil es zeitgemäß ist.“ (2)John Shelby Spong, in: „Das Maß aller Dinge“, Christianity Today, 20. März 2006.
Untersucht man in den Medien die Reaktion der protestantischen Welt auf Spongs Aussagen und Haltung gegenüber der Bibel, (3)https://creation.com/whats-wrong-with-bishop-spong, (4)https://www.christianitytoday.com/ct/2006/march/32.78.html, (5)https://www.christiancourier.com/articles/735-john-shelby-spong-anglican-nightmare so fällt überraschenderweise auf, dass mit Kritik gegenüber Spongs Sicht nicht gespart wird.
Man könnte sich fragen, warum verteidigt ein Großteil des modernen Christentums die Bibel gegen den Angriff von John Shelby Spong, vernachlässigt aber die ebenso verwerflichen Angriffe des römischen Katholizismus auf Gottes Wort? Im Herzen des Katholizismus liegt eine offenkundige Ablehnung des Gesetzes Gottes, die genauso gefährlich ist wie die von J. S. Spong.
Genaugenommen ist der Angriff des Katholizismus auf die Schrift in der Tat weitaus gefährlicher, da der Katholizismus sich anmaßt, die Allgemeinheit zu vertreten, während Spong ein weit bekannter theologischer Radikaler ist.
Fakt ist: Rom ist genauso antibiblisch wie Spong. Wenn die römische Kirche die Gleichwertigkeit von Bibel und Tradition lehrt, lehnt sie im Prinzip wie auch faktisch die Autorität jeglicher Macht außerhalb ihrer eigenen ab, einschließlich des Wortes Gottes. Die Kirche behauptet und lehrt, dass das „moderne Bewusstsein“ (in diesem Fall die römisch-katholische Lehre der Gegenwart) der Bibel allein überlegen ist. Warum protestiert der moderne Protestantismus gegen Spong, lässt aber Rom freie Hand?
Der Grund für die fehlende Protestbereitschaft scheint klar: Die Protestanten lassen sich von den Argumenten Roms täuschen. Heute bewegt sich Rom auf einem schmalen Grat. Es muss durch kirchliche Interpretation das Gesetz Gottes kontrollieren, um die Autorität auszuüben, die es ausübt. Die Römische Kirche muss den Anschein erwecken, das Gesetz Gottes und die Bibel zu unterstützen, um die Akzeptanz der Protestanten zu gewinnen. Wenn jedoch Gottes Gesetz und sein Wort vor dem römischen Katholizismus unabhängig voneinander existierten, dann wären das Gesetz und die Bibel dem römischen Katholizismus notwendigerweise überlegen. Rom lehnt aber ab, dass das Gesetz Gottes vor ihr selbst existierte. Da die Römische Kirche die Idee einer „lebendigen Tradition“ lehrt, die sich selbst als überragender sieht als das Gesetz Gottes, wie es in der Bibel steht, sieht sich Rom selbst als der Maßstab. Traurigerweise hat der moderne Protestantismus heute dieses Selbstverständnis von Rom hingenommen.
Rom will beides haben – es will den Anschein erwecken, Gottes Gesetz zu unterstützen, doch muss es Gottes Gesetz untergraben, um Vorrang vor dem Gesetz zu haben.
Dieser Wunsch, „beides zu haben“, wurde in einer Predigt von Josef Ratzinger alisas Benedikt XVI. zum Ausdruck gebracht. In seiner Predigt versuchte der damalige Kirchenführer, wohlwollend über den Dekalog zu sprechen, der den Kindern Israel auf dem Sinai gegeben wurde. Er wiederholte die Bedeutung des Dekalogs und nannte ihn das „Mittel, das der Herr uns gibt, um unsere Freiheit zu verteidigen“ und ein Zeugnis der Liebe. (6)Predigt J. Ratzinger zum Fest des „Heiligen Josef“, ZENIT, 19. März 2006
Benedikt verwies in seiner Predigt auf das Buch Exodus und zitierte insbesondere das Sabbatgebot, das den Sabbat als den siebten Tag bezeichnet. Ratzinger sagte: „Der Sabbat ist ein heiliger, nämlich Gott geweihter Tag, an dem der Mensch den Sinn seiner Existenz und auch seiner Arbeitstätigkeit besser versteht. Deshalb lässt sich bejahen, dass die biblische Lehre über die Arbeit ihre Krönung im Gebot der Ruhe findet.“
Nirgendwo in seiner Predigt erwähnt Benedikt allerdings die Sonntagsfeier. Denn im Zusammenhang mit dem Buch Exodus ist die Lehre von der Sonntagsheiligkeit offensichtlich zu verdächtig. Ratzinger fügte seiner Predigt eine einzige, aber entscheidende Aussage hinzu: Er wies darauf hin, dass „das mosaische Gesetz in Jesus seine Erfüllung gefunden hat“. (7)Predigt J. Ratzinger zum Fest des „Heiligen Josef“, ZENIT, 19. März 2006 Eine solche Behauptung steht natürlich in diametralem Gegensatz zu seiner Ausführung, „der Sabbat sei ein heiliger, gottgeweihter Tag.“ Ratzinger argumentierte damals auf subtile Weise, dass der Sabbat und der gesamte Dekalog in Jesus abgeschafft worden sind. Und damit brachte er sich als Papst in die unangenehme Lage, das zu würdigen, was er ablehnt!
Alle Christen sollten, ja müssen verstehen, was der Katholizismus über das Gesetz Gottes sagt. Benedikts Argument ist nachweislich unwahr. Der Dekalog ist nicht dasselbe wie das „mosaische Gesetz“. Diese beiden Rechtsordnungen sind zwar miteinander verbunden, aber bei weitem nicht gleichzusetzen. Wenn der Dekalog und das „mosaische Gesetz“ einander entsprächen, wäre die Behauptung des damaligen Papstes richtig. Aber das würde bedeuten, dass die ewigen Prinzipien des Dekalogs nicht mehr gelten. Mord, Lüge und Ehebruch wären damit in Jesus „abgeschafft“ worden.
Die Heilige Schrift lehrt jedoch nichts dergleichen. Den Dekalog abzuschaffen bedeutet, den Gott abzuschaffen, der ihn gegeben hat, und das Sabbatgebot abzuschaffen bedeutet, den Herrn des Sabbats abzuschaffen. Jesus sagte:
„Der Sabbat wurde für den Menschen Willen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Der Menschensohn ist also der Herr auch des Sabbats.“
Markus 2:26-28
Wenn ich meinem Sohn ein Automobil schenke und ein anderer Mensch dieses Auto zerstört, sind sowohl ich als auch mein Kind geschädigt worden. Indem Rom der Welt anstelle des Sabbats den Sonntag schenkt, beraubt es den Menschen der göttlich verordneten Ruhe und widersetzt sich damit Gott.
Kein Bibelkenner würde behaupten, dass Christus nicht das Gesetz „erfüllt“ hat. Was aber hat die Erfüllung des Gesetzes mit dem einzelnen Menschen bzw. Gläubigen zu tun? Laut dem Apostel Paulus ist die Erfüllung des Gesetzes durch Christus eine der Kernlehren des Evangeliums. In Römer 8,3.4 heißt es:
„Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, 4 damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist.“
Römer 8:3-4
Was Ratzinger predigte, die Katholische Kirche bis heute lehrt und was die Protestanten willig aus Rom übernommen haben, ist ein gesetzloser Christus. Wenn die Erfüllung des Gesetzes durch Christus tatsächlich das Gesetz beseitigt hat, dann gibt es keine „Gerechtigkeit vom Gesetz gefordert wird“ die „in uns erfüllt werden muss“. In dem Maße, wie der römische Katholizismus und der angepasste Protestantismus auch nur eine der gerechten Forderungen Gottes ablehnen, lehnen sie die Fähigkeit Christi ab, diese Forderungen in die Herzen von Männern und Frauen zu schreiben.
An die Stelle des Gesetzes Gottes, des Dekalogs selbst, der sowohl von Katholiken als auch von Protestanten so leidenschaftlich verteidigt wird, hat die Kirche im Fall des Sabbatgebotes das Gesetz des Menschen gesetzt. Und die Sonntagsfeier ist Menschengebot. Viele gläubige Christen sehen oder verstehen diese Wahrheit nicht, sollten es aber, bevor es zu spät ist.
Rom ist durch seine Lehre von der Überlegenheit der Tradition über das Wort Gottes ebenso antibiblisch oder antichristlich, wie John Shelby Spong, wenn er lehrt, dass das moderne Bewusstsein über die Bibel siegen wird. Weder Tradition noch das moderne Bewusstsein sind von irgendeinem Wert, wenn sie im Widerspruch zu den einfachsten Lehren des Gesetzes Gottes stehen. Zeit zum Umdenken – für Katholiken und Protestanten gleichsam.
QUELLEN | FUSSNOTEN
⏏ 1 | John Shelby Spong. The Sins of Scripture: Exposing the Bible’s Texts of Hate to Reveal the God of Love. |
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⏏ 2 | John Shelby Spong, in: „Das Maß aller Dinge“, Christianity Today, 20. März 2006. |
⏏ 3 | https://creation.com/whats-wrong-with-bishop-spong |
⏏ 4 | https://www.christianitytoday.com/ct/2006/march/32.78.html |
⏏ 5 | https://www.christiancourier.com/articles/735-john-shelby-spong-anglican-nightmare |
⏏ 6, ⏏ 7 | Predigt J. Ratzinger zum Fest des „Heiligen Josef“, ZENIT, 19. März 2006 |